#MuseumFromHome
Wahre Kunst bleibt unvergänglich und der wahre Künstler hat inniges Vergnügen an großen Geistes-Produkten.
Beethoven an den Komponisten Luigi Cherubini, 1823
Heute gehören Beethoven und Bach zu den bekanntesten Komponisten weltweit. Doch wie kam es dazu, dass gerade diese Komponisten und ihre Werke zu »Klassikern« wurden?
Entscheidende Voraussetzungen gingen von einer Leipziger Musikzeitschrift aus: der 1798 gegründeten Allgemeine musikalischen Zeitung (AMZ).
Beethovens Musik galt seinen Zeitgenossen zunächst als unverständlich, radikal und verstörend. Die AMZ vermittelte ihren Lesern im ganzen deutschsprachigen Raum tiefe Einblicke in Beethovens Schaffen und förderte das Verständnis seiner Musik. Das Erlebnis der Musik Beethovens bewirkte auch ein neues Interesse an der Musik Bachs. Maßgebliche Abhandlungen in der AMZ deuteten die von der Oper dominierte Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts als eine Geschichte der Instrumentalmusik um, mit Bach als Anfang und Beethoven als Ziel. Erstmals etablierte sich ein »Kanon der klassischen Meisterwerke«.
Die Ausstellung veranschaulicht die Kanonisierung von Bach und Beethoven als Klassiker der Musik am Beispiel der Musikstadt Leipzig im frühen 19. Jahrhundert. Sie macht zudem erlebbar, wie die Musik Johann Sebastian Bachs Beethovens Kompositionsweise beeinflusste.
Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist.
E.T.A. Hoffmann, Allgemeine musikalische Zeitung, 1810
Im Jahr 1798 gründeten der Schriftsteller und Komponist Friedrich Rochlitz sowie der Musikverleger Gottfried Christoph Härtel in Leipzig die Allgemeine musikalische Zeitung. Die zu ihrer Zeit bedeutendste deutsche Musikzeitschrift richtete sich an ein »gemischtes Publikum« von Kennern und Liebhabern. Neben Besprechungen aktueller Musik widmete sie sich philosophischen und musikgeschichtlichen Themen.
Zu den Autoren gehörte der bekannte Schriftsteller und Komponist E. T. A. Hoffmann. In seinen Schriften entwickelte er eine neue Musikästhetik, die der Instrumentalmusik den Vorrang gab. Seine Rezension über Beethovens 5. Sinfonie prägte das Beethoven-Bild des 19. Jahrhunderts. Beethovens Instrumentalmusik öffne uns »das Reich des Ungeheuren und Unermesslichen«. Darin würden »Riesenschatten alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht«.
E. T. A. Hoffmann nannte Mozart und Haydn die »Schöpfer der neuern Instrumentalmusik«, Beethoven deren Vollender. Mit der Kunstfigur des Kapellmeisters Johannes Kreisler versetzte er den »gewaltigen Genius Sebastian Bach« in die Welt der Romantik.
https://www.beethoven.de/de/media/view/5364432465035264/Mozart%2C+Haydn%...
Ich gebe Ihrer Handlung den Vorzug vor allen andern deutschen.
Beethoven an den Verleger Gottfried Christoph Härtel, Wien 1810
Als freier Künstler arbeitete Beethoven mit verschiedenen Verlagen zusammen und handelte geschickt Honorare für die Druckrechte seiner Werke aus.
Eine intensive Zusammenarbeit verband ihn mit zwei Leipziger Musikverlagen. Das Bureau de Musique von Franz Anton Hoffmeister und Ambrosius Kühnel (später C. F. Peters) veröffentlichte mehrere Werke in Originalausgaben, darunter die erste Sinfonie und das zweite Klavierkonzert (beide 1801). Ab 1802 publizierte er auch bei dem Konkurrenten Breitkopf & Härtel. Zwischen 1808 und 1812 war er der Hauptverleger Beethovens: Die Werke opus 67 (5. Sinfonie) bis opus 86 (C-Dur-Messe) erschienen hier in lückenloser Folge.
Beethoven bezog Notenausgaben und Bücher von den Leipziger Verlagen. Breitkopf & Härtel begleitete Beethovens Karriere als Herausgeber der Allgemeinen musikalischen Zeitung. Der Verlag sandte dem Komponisten ab 1817 regelmäßig Freiexemplare der Zeitschrift.
Wie Italien sein Neapel hat, der Franzose seine Revolution, der Engländer seine Schiffahrt, so der Deutsche seine Beethovenschen Sinfonien.
Robert Schumann, Neue Zeitschrift für Musik, 1839
Auf eine besonders lange Beethoven-Tradition blickt das Gewandhausorchester zurück. Das heute älteste bürgerliche Konzertorchester im deutschsprachigen Raum wurde 1743 von Leipziger Kaufleuten und Musikern gegründet. 1781 zog es an seine feste Spielstätte im Gewandhaus und veranstaltete jährlich rund zwanzig Abonnementkonzerte sowie Kammermusiken und Sonderkonzerte.
Seit 1799 gehören Beethovens Werke zum festen Repertoire. Zwei Kompositionen erlebten im Gewandhaus sogar ihre Uraufführung: Das Tripelkonzert für Klavier, Violine und Violoncello am 18. Februar 1808 gefiel dem Publikum »nur mäßig«, wie die AMZ berichtete. Dagegen begeisterte das 5. Klavierkonzert am 28. November 1811 das »sehr zahlreiche Auditorium«. 1825/26 brachte das Gewandhausorchester weltweit zum ersten Mal alle neun Beethoven-Sinfonien in einem Zyklus zu Gehör.
Neben aktueller Musik standen häufig Werke von Mozart und Haydn auf dem Programm. 1838 führte Kapellmeister Felix Mendelssohn Bartholdy »Historische Konzerte« ein, bei denen regelmäßig Werke Johann Sebastian Bachs und anderer alter Meister erklangen. Üblicherweise wurden sie für das Instrumentarium des 19. Jahrhunderts bearbeitet.
Ehre das Alte hoch, bringe aber auch dem Neuen ein warmes Herz entgegen. Gegen dir unbekannte Namen hege kein Vorurtheil.
Robert Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln, 1848
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland keine festen Bildungseinrichtungen für Berufsmusiker. 1843 gründete Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig das erste »Conservatorium der Musik«. Zu den Lehren zählten der Thomaskantor Moritz Hauptmann (Musiktheorie), der Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David (Violine), der Nikolaikirchenorganist Carl Ferdinand Becker (Orgel, Musikgeschichte), der Leiter der Leipziger Singakademie Ernst Friedrich Richter (Harmonie- und Kompositionslehre) und der Komponist Robert Schumann (Klavier, Komposition, Partiturspiel),
Wie Prüfungsprotokolle, Notenausgaben und Lehrbücher zeigen, nahmen die Werke Bachs und Beethovens von Anfang an einen festen Platz im Unterricht ein. Robert Schumanns Schüler trugen Präludien und Fugen aus Bachs Wohltemperierten Klavier und Beethovens Sonaten vor. Ernst Friedrich Richter legte seiner musikalischen Formenlehre viele Beispiele aus Beethovens Werken zugrunde. Ferdinand David veröffentlichte Bachs »Sonaten für Violine allein zum Gebrauch bei dem Conservatorium der Musik«.
Wie erscheinen mir doch meines heißverehrten Beethovens himmlische Gedanken stets höher, in einem stets reineren, erhabenen Lichte!
Henriette Voigt, Tagebuch, 27. Juni 1831
Musizierkreise, Chöre und Vereine entfalteten in Leipzigs Bürgerhäusern, Gärten, Gaststätten, öffentlichen Sälen und Kirchen ein reiches Musikleben. Dabei wirkten Berufsmusiker, Laien und Komponisten eng zusammen.
Zu den privaten Kammermusikabenden der Pianistin Henriette Voigt erklangen häufig Violinsonaten von Bach und Beethoven sowie Beethoven-Sinfonien für Klavier vierhändig. Die Sängerin Livia Frege führte in ihrem Salon Lieder, Opern und Werke für Chor und Orchester auf. Mit ihrem eigenen Chorverein und Gewandhausmusikern musizierte sie Beethovens Oper Fidelio und Bachs h-Moll-Messe.
Der 1824 gegründete Orchesterverein „Euterpe“ brachte in seinen Konzerten regelmäßig Beethovens Sinfonien und Ouvertüren zu Gehör. Bereits drei Jahre vor der Einführung »Historischer Konzerte« am Gewandhaus gestaltete der Verein am 4. April 1835 ein Konzertprogramm quer durch die Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts von Bach bis Beethoven.
Beethovens Ruhm war bereits zu Lebzeiten groß. 1823 beauftragte der Verlag Breitkopf & Härtel den Maler Ferdinand Georg Waldmüller, Ludwig van Beethoven zu porträtieren. Das Ölgemälde wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert häufig für das heimische Wohnzimmer reproduziert. Während des Zweiten Weltkrieges verbrannte das Originalporträt 1943 im Leipziger Verlagshaus.
https://da.beethoven.de/sixcms/detail.php?id=&template=dokseite_digitale...
Klavierspielen gehörte in vielen bürgerlichen Familien des 19. Jahrhunderts zum Bildungsideal. Besonders von jungen Mädchen und Damen wurde erwartet, dass sie bei Gesellschaften die Gäste musikalisch unterhielten. Hierfür entstanden unzählige populäre Klavierstücke, die heute zum großen Teil vergessen sind. Beethovens Klavierwerke für Liebhaber wie das berühmte »Für Elise« wurden hingegen zu Klassikern.
Neben dem Notenhandel nahm auch der Klavierbau einen enormen Aufschwung. Von 1807 bis 1872 baute der Verlag Breitkopf & Härtel in der eigenen Werkstatt Klaviere und Flügel. Er begründete damit die Tradition des Leipziger Klavierbaus.
J. S. Bach ist doch ein alter Prachtkerl gewesen. Wir wollen ihm jetzt hier vor der Thomasschule ein kleines Denkmal aufrichten lassen.
Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, Anfang 1838
Die ersten Denkmäler für Bach und Beethoven entstanden fast gleichzeitig. 1843 ließ Felix Mendelssohn Bartholdy das Bach-Denkmal in Leipzig errichten, an dessen festlicher Einweihung Bachs Enkel Wilhelm Friedrich Ernst Bach teilnahm. August Wilhelm von Schlegel und der »Bonner Verein für Beethovens Monument« initiierten das Beethoven-Denkmal auf dem Bonner Münsterplatz von 1845.
https://www.beethoven.de/de/media/view/5166253815627776/scan/0
1850 gründete sich in Leipzig die Bach-Gesellschaft mit dem Ziel, eine vollständige Werkausgabe zu erstellen. Die bei Breitkopf & Härtel erschienenen monumentalen Gesamtausgaben der Werke Bachs (1851-1899) und Beethovens (1862-1888) schufen erstmals die Voraussetzung für eine umfassende Beschäftigung mit deren Schaffen.
Die Auffindung des vermeintlichen Bach-Grabes auf dem Leipziger Johannisfriedhof im Jahr 1894 beflügelte die Pläne für ein neues Bach-Denkmal. Carl Seffner errichtete es 1908 auf dem Thomaskirchhof. Beethovens epochale Wirkung veranschaulichte Max Klinger in seiner Skulptur 1902. Inspiriert von dem Zeus-Monument des antiken Bildhauers Phidias in Olympia stellte er den Komponisten gottähnlich als Neuerfinder und Beherrscher der Musik dar.
Beethoven studierte ein Leben lang Bachs Musik, die damals nur wenigen Kennern vertraut war. Bereits als Zwölfjähriger spielte er die Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier. Tief drang er in Bachs kunstvolle Kompositionsweise ein, fertigte Notenabschriften und Bearbeitungen an und besorgte sich Druckausgaben seiner Werke. So subskribierte er 1801 auf die Gesamtausgabe von Bachs Klavierwerken bei Hoffmeister & Kühnel in Leipzig. Den Verlag Breitkopf & Härtel bat er 1810 um die Zusendung von Bachs h-Moll-Messe. Auch die Kunst der Fuge gehörte zu Beethovens Notensammlung und regte ihn 1825 zur Komposition seiner Großen Fuge an.
https://da.beethoven.de/sixcms/detail.php?id=15123&template=dokseite_dig...
https://da.beethoven.de/sixcms/detail.php?&id=15288&template=dokseite_di...
Die Musik Bachs prägte Beethovens Schaffen so grundlegend wie bei kaum einem anderen Komponisten. Sie inspirierte ihn zur Entwicklung seiner motivischen Arbeit, zu einem neuen Umgang mit der Harmonik und einer radikalen Steigerung des Ausdrucks. Bachs Einfluss ist in vielen Werken Beethovens hörbar, besonders aber in den späten Klaviersonaten und Streichquartetten sowie in seiner berühmten Missa solemnis.
https://da.beethoven.de/sixcms/detail.php?id=15123&template=dokseite_dig...
Die UNESCO nahm 2001 Beethovens Neunte Sinfonie und 2015 Bachs h-Moll-Messe in das Verzeichnis des Weltdokumentenerbes »Memory of the World« auf. Sie würdigte damit die wegweisende Bedeutung des Gesamtwerks beider Komponisten für die Menschheit.
Die h-Moll-Messe wurde schon 1818 von dem Verleger Hans Georg Nägeli in der AMZ als das »größte musikalische Kunstwerk aller Zeiten und Völker« bezeichnet. Bach arbeitete an ihr bis zum Ende seines Lebens. Mit der Vertonung des lateinischen Messtextes schuf er ein überkonfessionelles Werk von zeitloser Gültigkeit, das vom flehentlichen Kyrie (»Herr, erbarme dich«) bis zur Friedensbitte »Dona nobis pacem« tief bewegt.
https://www.bach-digital.de/receive/BachDigitalSource_source_00001048
Beethovens 9. Sinfonie mit dem Schlusschor »Freude, schöner Götterfunken« wurde zum Symbol für Menschlichkeit und Freiheit. Die Melodie der »Ode an die Freude« erhob die Europäische Gemeinschaft 1985 zu ihrer offiziellen Hymne. Nach dem Fall der Mauer dirigierte Leonhard Bernstein die Sinfonie am 25. Dezember 1989 in Berlin und änderte Schillers Text in »Freiheit, schöner Götterfunken«.
https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN756658373&...